Zu den drei weiteren mutmaßlichen Bandenmitgliedern gehört der Wirtschaftsprüfer und Treuhänder Manfred Eschenbach (ehrenamtlicher Richter am Landgericht Berlin), der als Präsident dem Verwaltungsrat der VARIAN AG in Liechtenstein vorsteht und der noch im Dezember 2017 auf einer Vermittler-Veranstaltung in Berlin erklärt haben soll, dass noch ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag in Euro zumindest auf dem Treuhänderkonto liege, der gesichert sei.
Laut Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten beziffert die Berliner Staatsanwaltschaft den aktuellen Schaden auf einen ähnlich hohen Betrag, nämlich 87,6 Millionen Euro, wie später noch aufgezeigt wird.
Manfred Eschenbach soll es laut Rechtsanwalt Matthias Schröder auch gewesen sein, der wiederholt Handelsergebnisse der Piccor aus der Vergangenheit bestätigte. Die Bestätigungen wurden wiederum zu Werbezwecken bei den Kunden eingesetzt.
Sechstes mutmaßliches Bandenmitglied ist Bankmanager Stephan Blohm aus Leipzig
Die Staatsanwaltschaft Berlin beschuldigt Blohm, an zentraler Stelle die Geldkreisläufe zwischen Konten, Unternehmen und Fonds gestaltet zu haben, über die sich die mutmaßlichen Bandenmitglieder über Gebühren und Provisionen bedient haben sollen. Blohm war bei der Luxemburger Von der Heydt Invest als geschäftsführender Verwaltungsrat für Fonds und Darlehen verantwortlich.
Bis ungefähr Ende 2016 zahlten die Anleger ihr Investment auf ein Konto des Wirtschaftsprüfers Manfred Eschenbach bei der Berliner Volksbank ein. Statt wie angekündigt mit Dax-Futures zu handeln, seien dann mehr als 72 Millionen Euro in vier Fonds der Gesellschaft Von der Heydt Invest in Luxemburg geflossen, vermutet die Staatsanwaltschaft.
Der Pressesprecher des Bankhauses Von der Heydt teilte dem Handelsblatt mit, dass man sich Ende 2016 von Blohm getrennt habe. Danach habe die Bank zusammen mit den Aufsichtsbehörden “einige nicht sehr transparente Vorgänge” untersucht. Die betroffenen Fonds seien Anfang 2017 geschlossen worden, damit keine Gelder mehr abfließen könnten.
Angebliche Kreditnehmerin der Piccor AG: Bauträger-Geschäftsführerin Andrea Jirschik
Siebentes mutmaßliches Bandenmitglied ist die aus Mecklenburg stammende Andrea Jirschik (45) aus Berlin Altglienicke. Sie ist seit September 2016 Geschäftsführerin der bilanziell überschuldeten RBG Bauträger GmbH aus der Hubertusallee 42 (vormals Hausnummer 74) aus Berlin Schmargendorf von Andreas Riedel. Der letzte veröffentlichte Firmenabschluss weist für das Jahr 2012 eine nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von rund minus 903.000 Euro.
Über Andreas Riedel erreichte GoMoPa.net im September 2017 folgende Zuschrift:
Herr Andreas Riedel der Firma Piccor AG aus Baar in der Schweiz/Picam GmbH aus Berlin Schmargendorf (Hubertusallee 74) wohnt mit seiner neuen Frau nicht im Raum Bamberg, sondern in 96215 Unterwallenstadt im bayerischen Oberfranken.
Angeblich ist Herr Riedel aus der Firma ausgetreten, fährt trotzdem zwei Luxusautos im Wert von über 300.000 Euro, welche auf die Firma zugelassen sind.
Seine Frau hat bis vor einer Woche noch ein Luxusauto gefahren, welches auf Picam zugelassen war, obwohl Sie mit der Firma nichts zu tun hat.
Die Anleger (des Vermögensverwalters und Börsenhandelsvermittlers – Anmerkung der Redaktion) wird es freuen.
Andrea Jirschik soll als Geschäftsführerin für die RBG Bauträger GmbH Darlehen von der PICCOR AG mithilfe von Verbriefungsplattformen (unter anderem Semper Augustus SA) entgegengenommen haben und teilweise sogar direkt an die PICCOR AG zurücktransferiert haben. Somit sei die RBG Bauträger GmbH nur ein Schein-Darlehensnehmer gewesen.
Der Rücktransfer der angeblichen Darlehen an die PICCOR AG erfolgte auch indirekt:
Die Darlehensforderungen wiederum sollen als sogenannte “Credit Linked Notes” verbrieft und an der Düsseldorfer Börse angeboten worden sein. Der Kreislauf der Anlegergelder wurde laut Ermittlern schließlich vollendet, indem diese Gelder dann auch von den Verbriefungsplattformen an die PICCOR AG zurücktransferiert wurden.
Als das Bankhaus Von der Heyd misstrauisch wurde und von der Darlehensnehmerin RBG Bauträger GmbH Belege einforerte, habe die RBG Bauträger GmbH im Auftrag von Entzeroth “zur vorgetäuschten Mittelverwendung gefälschte Tatsachenberichte des in den USA ansässigen Wertpapierhändlers ‘Interactive Brokers'” übermittelt.
Dasselbe sei mit Firmen wie der Salbapi SL auf Mallorca und einer Finbox Consulting AG am Zugersee in der Schweiz passiert. Die drei angeblichen Darlehensnehmer-Firmen werden von der Staatsanwaltschaft dem Picam-Vermittler Entzeroth zugeordnet.
Im Durchsuchungsbeschluss heißt es:
Über dieses von den Beschuldigten errichtete Fondssystem flossen ihnen erneut Gelder in noch nicht bezifferbarer Höhe in Form von Provisionen und Gebühren für angeblich geleistete Investitionstätigkeiten zu.
Beim Zusammenwirken der mutmaßlichen Betrugsbande unterscheidet die Staatsanwaltschaft Berlin in 2 Tatkomplexe:
Tatkomplex 1: Schneeballsystem-Vorwurf
Spätestens im Jahr 2009 sollen die Beschuldigten Thomas Enzeroth, Manfred Eschenbach, Peter Züllig und der Prokurist der Varian DC Service GmbH überein gekommen sein,
über ein nicht genehmigtes Anlagemodell ‘PICCOR’ ein sogenanntes Schneeballsystem mit Anlagegeldern zu betreiben, bei dem sie Anlegern gegenüber behaupteten, dass sie die von ihnen in Vermögensverwaltungsverträgen überantworteten Gelder gewinnbringend in hochriskante Anlagegeschäfte investieren würden, um für die Anleger Renditen von bis zu 30 Prozent zu erwirtschaften.
Die Anleger unterschrieben einen Treuhandvertrag mit der PICCOR AG, wodurch das von ihnen überantwortete Kapital in einem nicht näher beschriebenen “Anlagesystem mit Derivaten in Verbindung mit externer Vermögensverwaltung” investiert werden sollte.
Dabei sollen sie den Anlegern durch die von dem Prokuristen geschulten Finanzmakler vorgespiegelt haben, dass sie das Kapital tatsächlich investieren würden.
Dafür soll unter anderem Treuhänder Manfred Eschenbach gebürgt haben.
Tatkomplex 2: Schwindelvorwurf mit Piccox-Zertifikaten
Um den unter Tatkomplex 1 errichteten Kreislauf mit den Anlegergeldern weiter aufrechtzuerhalten,
boten die Beschuldigten im gewussten und gewollten Zusammenspiel und dem gemeinsamen Tatplan folgend den Anlegern der PICCOR AG Mitte 2017 ein Anlageprodukt namens ‘Piccox’-Zertifikat an.
Bei diesem Anlageprodukt sollten die Anleger Wertpapierkaufverträge für Inhaberschuldverschreibungen abschließen. Enzeroth und der Makler-Prokurist sollen wahrheitswidrig behauptet haben, dass bei diesen Wertpapieren sämtliche Anlegerschutzbestimmungen eingehalten und die behördlichen Genehmigungen vorliegen würden.
Im Durchsuchungsbeschluss heißt es:
Tatsächlich handelte es sich bei der Piccox Securitisation SA, die die Piccox-Zertifikate für die Anleger kaufte, um eine von den Beschuldigten selbst gegründete Verbriefungsplattform. Lediglich auf der Internetseite der Piccox Securitisation SA wurden angeblich tagesaktuelle Kurse veröffentlicht.
Mit Schreiben vom 13. Juni 2017 kündigten die Beschuldigten das neue Anlageprodukt an, wobei sie unter anderem den Briefkopf der Varian Defence Capital nutzten, die über eine Anlage- und Abschlusserlaubnis der BaFin verfügte.
Mit ihrer Firma Varian Services GmbH traten die Beschuldigten … sodann gegenüber den Anlegern als gebundener Vermittler auf und suggerierten ihnen, dass ihr Handeln dem ‘geltenden Anlegerschutz’ unterliegt.
Im Zeitraum von Ende Mai 2017 bis Ende Dezember 2017 sollen Enzeroth und Eschenbach regelmäßig ihr Treuhandkonto bei der Berliner Volksbank “mit Geldern der Altanleger sowie den Geldern neu geworbener Anleger des Piccox-Zertifakts” gespeist haben.
Dabei sollen sie einigen Anlegern, aber auch sich selbst Beträge ausgezahlt haben. Unter anderem soll Anwalt Richert, wie schon erwähnt, 3 Millionen Euro erhalten haben.
Zwischen Oktober und November 2017 sollen die Beschuldigten nochmals für 1,2 Millionen Euro Piccox-Zertifikate gekauft haben.
Zum Zusammenbruch heißt es im Durchsuchungsbeschluss:
Bis Ende 2017 war aus diesem von den Beschuldigten geschaffenen weiteren Kreislauf, bei dem sie die Anlegergelder über diverse weitere Konten transferiert hatten, ein Auszahlen der Anlegergelder nicht mehr möglich.
Insgesamt konnten seit Ende 2017 nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen Anlegern in Höhe von mindestens 67 Millionen Euro Kapital nicht zurückerstattet werden.
Hinzu kommen die Beträge, die zum Kauf der Piccox-Zertifakte verwendet wurden, “da mit diesen Geldern nur Alt-Anleger und die Beschuldigten ausbezahlt wurden.”
Zwischen dem 21. Juni 2017 und dem 27. Oktober 2017 haben Neu-Anleger insgesamt rund 20,56 Millionen Euro auf das Konto der Piccox Securitisation SA eingezahlt. Insgesamt verzeichnete die Staatsanwaltschaft Berlin daher einen vorläufigen Schaden von rund 87,56 Millionen Euro. Aber laut Entzeroth ist ja nur die “Servicefähigkeit unseres Büros” eingeschränkt. Nun denn…