Die Päpste in Rom hatten jahrzehntelang eine doppelte Buchführung. Über frei erfundene Stiftungen für Bedürftige wurden Milliarden Euro Schwarzgelder von und für Politiker und hohe italienische Staatsbeamte gewaschen. Das enthüllt das Buch “Vatikan AG” des italienischen Panorama-Zeitungsredakteurs Gianluigi Nuzzi, das am 26. März 2010 zum ersten Mal in die deutschen Buchläden kam.

 

In Österreich ist das Buch (22,50 Euro, ecowin) seit dem 25. März 2010 zu haben und landete dort sofort auf die Top-100-Bestsellerliste.

Mit schonungsloser Genauigkeit beweist Nuzzi auf 356 Seiten, dass neben der offiziellen Vatikanbank, dem Institut für die Werke der Religion (IOR), auf dem Petersplatz in Rom ein paralleles, geheimes IOR existierte, das mit wohltätigen Zwecken nichts zu tun hatte.

Bestechung statt Heilige Messen

 

So kam es vor, dass über das Spendenkonto für Heilige Messen (je Heilige Messe 10.000 Euro) viele Millionen Euros für Schmiergelder an korrupte Politiker und hohe Geistliche und deren Sippe, aber auch in dubiose Finanzspekulationen bis hin zu Bankenübernahmen geflossen sind.

Nach dem Motto “Vom Ave Maria allein kann man nicht leben” konnte ein vom Papst eingesetzter Prälat (geistlicher Führer) über die Köpfe der Bankdirektoren des IOR hinweg und ohne Kontrolle schalten und walten, wie es ihm beliebte. Seine Anweisungen wurden bedingungslos ausgeführt. Sein Netzwerk war riesig.

Praktisch alle großen Banken- und Firmencrashs Italiens haben Spuren ins IOR.

Damit zum Beispiel das italienische Parlament der Verstaatlichung eines nicht zu rettenden Chemiekonzerns namens Enimont zustimmte, der dann 1991 nach einem Jahr tatsächlich in Konkurs ging, flossen laut Mailänder Staatsanwaltschaft von 130 Milliarden Lire (70 Millionen Euro) an Enimont-Schmiergeldern allein 88,9 Milliarden Lire (50 Millionen Euro, also gut zwei Drittel) über das IOR, und zwar in Form von 234 eingelösten Staatsanleihen, die zuvor auf Konten einer gar nicht existierenden, aber so benannten Kardinal-Spellmann-Stitung eingezahlt und von dort aus geschickt weiterverteilt worden sind. Zeichnungsberechtigter dieses Kontos war nach IOR-Unterlagen auch der siebenmalige italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti von der ehemaligen katholischen Volkspartei Democrazia Cristiana, die den Deal mit Enimont durchboxte.

Nachfragen von Staatsanwälten und Richtern scheiterten regelmäßig an den Mauern des Vatikanstaates und der diplomatischen Immunität (Straffreiheit nach Artikel 11 der Lateranverträge zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl). Keine Auskunft. Keinen Einblick. Kein Abhören. Keine Durchsuchung. Keine Verhaftung. Keine Bestrafung. Das IOR war eine unangreifbare Offshore-Geldwäsche mitten in Europa. Und jeder, der wollte und einen guten Kontakt zur Nomenklatura des Vatikans hatte, konnte und kann am Schalter im Nikolaus V. Festungsturm, dem Sitz der Bank in Rom, ein Konto eröffnen, wenn er sich nur verpflichtet, wenigstens ein bisschen für wohltätige Zwecke zu spenden. Dafür bekommt man ein Nummernkonto, Schließfach, Debitkarten, Schecks und internationale Bankverbindungen. Und einen Decknamen. Andreotti hieß zum Beispiel Omissis.

Der Finanznachrichtendienst GoMoPa.net traf den Buchautor Gianluigi Nuzzi im Berliner Hotel Adlon zum Interview.

 

GoMoPa.net: Herr Nuzzi, wie hat der Heilige Stuhl auf Ihre Enthüllung reagiert?

Nuzzi: “In Italien erschien mein Buch ja bereits im Mai 2009. Ich habe dem IOR-Präsidenten Professor Angelo Caloia (70) persönlich ein Exemplar überbracht. Er schien davon völlig überrascht zu sein. Er hat wohl niemals für möglich gehalten, dass die Buchführung jemals öffentlich werden könnte. Er reichte seinen Rücktritt ein. Papst Benedikt XVI. wechselte am 23. September 2009 die gesamte Führungsriege des IOR aus.”

GoMoPa.net: Hat sich dadurch tatsächlich etwas verändert?

Nuzzi: “Oh ja, man machte im Vatikan einen sauberen chirurgischen Schnitt. Im Januar 2010 strich Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone den zentralen Posten des Prälaten aus dem Organigramm der Papstbank. Der Posten des Prälats wurde abgeschafft, ein Amt, das ein gewisser Donato de Bonis jahrelang ausgenutzt hat, um Schmiergelder und Girokonten italienischer Spitzenpolitiker, deren Namen geheim gehalten wurden, zu verwalten. Ohne jede Vorwarnung wurde nun der aktuelle Prälat des IOR, Piero Pioppo, aus dem Vatikan abberufen. Er wird Apostolischer Nuntius in Kamerun und Guinea-Bissau.”

GoMoPa.net: Wie sieht es mit der Geldwäsche aus?

Nuzzi: “Nach Unterzeichnung einer Währungsvereinbarung mit der Europäischen Union unterliegt der Vatikan nunmehr den in der EU geltenden Gesetzen zur Verhinderung von Geldwäsche. In Zukunft wird das IOR, das mehr als fünf Milliarden Euro Ersparnisse von Orden, kirchlichen Einrichtungen und Diözesen weltweit verwaltet und die Gewinne daraus unmittelbar dem Papst zur Verfügung stellt, keine Offshore-Bank mehr sein, die außerhalb jeglicher Kontrollvorschriften steht und ihren Mitarbeitern Straffreiheit zusichert.”

GoMoPa.net: Warum ging die Vatikanbank diesen schweren Weg, sie hätte doch ihr Buch einfach als Lüge verteufeln können?

Nuzzi: “Nein, die Dokumente, auf die sich mein Buch stützt, sind alle echt. Sie stammen von Monsignore Renato Dardozzi, einem führenden Mitarbeiter des IOR, der als Kontrolleur vom Papst bestellt war. Dardozzi hat zwar zu Lebzeiten geschwiegen. Aber er hat alle Vorgänge dokumentiert und in die Schweiz geschmuggelt. Erst nach seinem Tod im Jahre 2003 wurde sein Geheimarchiv gefunden. In seinem Testament verfügte er, dass alles veröffentlicht werden soll. Die Testamentsvollstrecker vertrauten sich der italienischen Wochenzeitung Panorama an, die als gemäßigt gilt und bei der ich Redakteur für solche Themen bin. So kam ich zu den Dokumenten.”

GoMoPa.net: Und konnten Sie ungestört arbeiten?

Nuzzi: “Nein, ich lebe schließlich in Italien. Die Polizei fing an, mich zu überwachen. Das ging so weit, dass die Beamten sogar den Namen meiner Labradorhündin Mathilde recherchierten und auch, zu welchem Osteoporosen meine Schwiegermutter ging. Meine Familie wollte nicht, dass ich das Buch schreibe, weil sie nicht wollte, dass mir was zustößt. Ich musste es einfach tun, ich bin Journalist. Der Vatikan versuchte, die Angelegenheit nach außen hin totzuschweigen. Im Fernsehen, über das sich in Italien 80 Prozent der Bevölkerung informiert, kam gar nichts. Dennoch wurde mein Buch in Italien binnen weniger Monate 250.000 Mal verkauft und musste schon elf Mal neu aufgelegt werden. Die Vatikanmitarbeiter trauen sich nicht, es offen zu kaufen. Aber man sieht die Würdenträger mit weißen undurchsichtigen Plastiktüten aus Buchhandlungen herauskommen.”

GoMoPa.net: Der alte IOR-Präsident Professor Angelo Caloia vertrat die Freimaurerloge Propaganda Due (P 2), der auch Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi angehören soll (man fand seine Mitgliedsnummer). Der neue IOR-Chef Professor Ettore Gotti Tedeschi soll dagegen dem erzkatholischen Orden Opus Dei (Das Werk Gottes) angehören, deren Ziel es ist, Kontrolle in Wirtschaft und Politik zu übernehmen. Ist die Vatikanbank Spielball von Geheimbünden?

Nuzzi: “Ob P 2 oder Opus Dei, das spielt keine entscheidende Rolle. Der Heilige Stuhl wird immer auch von sich aus versuchen, weltlichen Einfluss auszuüben. Aus meiner Sicht wird es im Vatikan immer Kräfte geben, die separatistische Strömungen im Vereinten Europa unterstützen werden. Das hat nichts mit P 2 oder Opus Dei zu tun. Der Vatikan vertritt zum Beispiel auch USA-Interessen.”

GoMoPa.net: Welche Rolle kommt dabei der Vatikanbank zu?

Nuzzi: “Nun, die Bank hat in den vergangenen Jahren meist Gold gekauft. Jetzt ist die Bank dazu übergegangen, wie schon in den 60er Jahren, wieder Staatsanleihen zu kaufen. Der Erzbischof von Genf hat als Vorsitzender der Bischofskonferenz jüngst 100 Millionen Euro an Bonds mit anderthalbjähriger Laufzeit gezeichnet. Das ist ein möglicher Weg, um auf andere Banken und Unternehmen und damit auch auf Politiker mehr Einfluss ausüben zu können.”

GoMoPa.net: Herr Nuzzi, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

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